Irische Vernebelungen
Dolphin Address 3
16. Juli, 2004
Irland verehrt seine Poeten und das mit Recht. Sie haben ein unwirtliches Land mit Gedanken, Traeumen und Geschichten erfuellt, eine reich gedeckte Tafel fuer den Geist. Diese Inspiration, vom Geiste der Bevoelkerung aufgegriffen, findet endlos Ausdrucksformen. Fragt man nach dem Weg, dann ist meist die Antwort:'Das ist gleich hier um die Ecke.' Die Tatsache, dass diese Ecke nochmals fuenf Kilometer weiter weg ist, scheint dem Wunsch, dem beduerftigen Reisenden zu helfen, nachzustehen.
Diese kreativen Umformungen der Wahrheit verwirklichen sich nur noch intensiver, wenn es um den Delphin geht. Frauen und Maenner gleichermassen haben ihr eigenes Repertoire an Erfahrungen, mit Ueberzeugungskraft vorgetragen und unterstrichen durch die Hand auf dem Herzen. So auch Paddy, der vor zwei Jahren behauptet hatte, Dusty haette versucht, seine kleine Tochter in die offene See zu schubsen. Da ich zoegerte, dass zu glauben, lud er mich ein, das Video anzuschauen, das er zufaellig von dieser Begebenheit gemacht hatte. Als der Moment der Wahrheit kam, sah ich tatsaechlich den Delphin hinter seiner Tochter herschwimmen. Dann war ploetzlich alles schwarz und er sagte: ,Hast Du das gesehen ?' Und ich sagte ich haette irgendwie gar nichts gesehen und verstuende nicht warum, und er antwortete: 'Na, ja, natuerlich habe ich die Kamera abgeschaltet, um das arme Maedchen retten zu koennen.' Absurde Vorkomnisse wie diese begegneten mir oefter.
Letztes Jahr wurde Dusty mehrmals in Begleitung anderer Delphine gesichtet. Einen Besuch eines Maennchens habe ich in DA 18, 2003 beschrieben. Mitte September letzten Jahres wurde sie beobachtet, wie sie mit einer Gruppe weiblicher Delphine mitschwamm. Fast unmittelbar danach ging die Geschichte um, dass Dusty schwanger waere und die Unterstuetzung anderer Delphine als Geburtshelfer braeuchte. Gleich nach einer triumphalen Ankuendigung auf www.irishdolphins.com wurde die glueckliche Nachricht zurueckgenommen. Dusty haette doch nur ein totgeborenes Kalb eines anderen Delphins vor sich her geschoben. Spaeter war auch das nur noch ein Haufen Seetang.
Vor einigen Tagen behauptete ein magerer, unrasierter Mann in Motorradkluft, Dusty haette den selben Morgen ein Kalb geboren. Er selbst haette das Junge gesehen: 'Sie laesst ihr Kalb draussen in der See und kommt zur Kueste, um mit Schwimmern zu spielen.'
Als wir am Tag davor mit ihr schwammen, war uns nichts aufgefallen, aber es ist Tatsache, dass Delphinschwangerschaften schwer zu erkennen sind. Verena hatte den Eindruck, dass Dustys Vagina im Vergleich zum Vorjahr staerker betont und irgendwie faltiger waere.
So reagierte sie spontan mit weiblichem Enthusiasmus, wo ich mich lieber zurueckhielt: ,Lass uns erstmal nach ihr schauen.'
Wir fuhren also schnurstracks nach Pollenawatch, wo die Wellen mit gewaltiger Kraft gegen die Felsen schlugen. Nichts zu sehen, keine Dusty, kein Kalb. Wir gingen weiter zur besser geschuetzten ,Second Cove'. Auf dem Weg dorthin ueberpruefte ich insgeheim den Kuestenstreifen auf ein totes Kalb. Nichts zu meiner Erleichterung. Weit draussen sahen wir Ute mit Dusty schwimmen. Kein Kalb. Zwei Frauen, die gerade das Wasser verlassen hatten, berichteten, sie haetten ein gutes Erlebnis mit ihr gehabt, aber ein Kalb haetten sie nicht gesehen. So warteten wir auf Ute, um ihr die Geschichte zu erzaehlen. Sie lachte bloss:'Das ist das siebente oder achte Mal in diesem Jahr, dass so eine story die Runde macht.'
Dusty ist ein aussergewoehnlicher Delphin, aber es ist fuer mich schwer zu glauben, dass sie eine derartig nachlaessige Mutter waere. Aber vielleicht ist dies nur, was ich gerne glauben moechte.
Jan Ploeg, Poul Sallagh, 16 Juli 2004
Übersetzung und Beratung: Verena Schwalm
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