Auf der Jagd
Dolphin Address 13 - 2003
September 2003
Anfang Juli habe ich beschrieben, wie Dusty mir einen großen Lachs brachte. Auf drei, leider ziemlich beschlagenen Videos, die ich davon machte, kann man sehen, wie sie das tat. Erst stand sie senkrecht auf dem Kopf und wühlte im Kelp. Dann schließlich schob sie mir den betäubten Lachs mit ihrer Schnauze viele Male bis fast in die Kamera.
Einen guten Monat später sah ich, wie sie einen sehr großen Meerbarsch in sich hinein schlang.
Seit zwei Wochen sehe ich immer öfter das folgende Muster:
sie schwimmt zu einem großen Fels, der ungefähr 4 Meter unter Wasser liegt. Sie begibt sich an dessen Rand, schwingt ihre Flosse hoch und rudert langsam mit Hilfe ihrer Brustflossen entlang. Währenddessen stößt sie hohe, schnelle Rasseltöne aus.
Einmal sah ich einen großen Meerbarsch in einen Spalt flüchten. Leider hatte sie all die Male nichts gefangen, zumindest nicht daß ich es gesehen hätte.
Ich kann mich irren, aber ich bekam den Eindruck, daß sie versuchte, für mich einen Fisch zu fangen. Sie machte das nämlich ziemlich demonstrativ, vor allem beim "Affenfelsen" und dem letzten Stück auf dem Weg zum Bridie beach. Ich würde das gerne von nahem filmen, aber was würde ich dann mit dem Fisch tun? Ich könnte ihn vielleicht in einem Felsweiher unterbringen und später wieder freilassen. So könnte ich auch den Effekt der Betäubung näher betrachten.
Würde Dusty das bemerken? Sie kann nicht jeden Fisch persönlich kennen, aber ihn möglicherweise an den Verletzungen oder anderen Besonderheiten wiedererkennen.
Ich will nicht aufs Geratewohl fantasieren, aber ich unterschätze ihre Expertise keineswegs. Vorläufig halte ich es mit der Redewendung: "es gibt mehr als einen Fisch im Meer".
Bei einigen Naturvölkern funktioniert Reziprozität als ein System von Umverteilung von Gütern und Status und deswegen als Überlebensmechanismus für den ganzen Stamm. Dies steht im Gegensatz zu dem akkumulativen System in der (sogenannten) kultivierten Welt.
Was ist Dustys Motiv für das Teilen ihrers Jagdertrages? Spiele ich unwissend eine Rolle beim Aufstöbern der Beute, weil das zukünftige Opfer meint, mich nicht fürchten zu müssen.
Vielleicht empfangen die Fische so starke Schwingungen durch meine Aktivität in ihrer Nähe, daß sie Dusty schon gar nicht mehr wahrnehmen. Ich lenke quasi die Fische ab und sie greift zu.
Ihre Überlegenheit im Wasser muß sie nicht beweisen.
Ist es eine Geste mir, dem Landbewohner gegenüber ,oder als einem Gesandten?
Eine Freundschaftsbezeugung, ein Einweihungsritual?
Vielleicht grabe ich zu tief. Den Lachs hatte ich mehrere Male abgewiesen. Sie hätte auf symbolischer Ebene beleidigt sein können.
Könnte sie versucht haben, mich aus ihrem Mutterinstinkt heraus mit Nahrung zu versorgen. Jedenfalls hat sie gezeigt, daß sie sich Mühe gibt.
Es wird noch viele Fischleben kosten, um dahinter zu kommen.
Jan Ploeg, September 2003
Übersetzung und Beratung: Verena Schwalm
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