Dolphin Address 5
13. Februar 2005
Mit einer fröhlichen Melodie in meinem Kopf gehe ich die Treppen hinunter. Ich gehe bummeln, und manchmal mag ich das sehr, so wie jetzt. Erfahren rüttle ich den richtigen Schlüssel aus meinem Bund und stecke ihn in das schweigende Schloß. Es regnet, wie sehr es doch regnet, aber meine Kapuze funktioniert wie ein tragbares Haus. Hier drinnen lebe ich, und das tue ich an jedem Ort. Wiegend zermahle ich den Winterstreu unter meinen Solen. Es gibt so viel zu sehen.
Eine Frau stolpert fast über die Leine ihres unerschütterlichen jungen Hundes und schnauzt: `Du bist auch so blöde, heute!`. Ein sehr flaches Auto auf sehr hohen Rädern kommt vorbeigeblubbert. Ein Spielplatz liegt kinderlos im Regen. Eine türkische Frau in Zeltmantel schlurft in gemütlichem Schritt vorbei, in der Hand einen gigantischen Sack mit Apfelsinen.
Ich frage mich, ob Karl Marx sich nicht im Grabe dreht beim Anblick der seinen Namen tragenden Straße. Ein Hoch auf das Kapital: ein Möbelgeschäft mit einer Sitzecke, ein Waffenladen mit sportlicher Kleidung, ein modernes indisches Warenhaus, ein türkischer Feinkostladen, ein Imbiß, wo man für 99 Cent in eine Boulette beißen darf, das ist ein plattgedrückter Fleischball, und ein Telecafe und noch eines, um billig in die Türkei zu telefonieren.
Althippies sieht man hier regelmäßig, und man kann sie in zwei Kategorien einteilen: Fett mit fettigem, langem zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen Haar und einfacher Kleidung und die eher dünnen, mit auffliegendem, gewaschenen Haar, asketischem Gesicht, großer Nase und Kordhosen.
Es ist naß in den Straßen, auf verschiedene Art und Weise. Markisen lassen das Wasser in sintflutartigen Vorhängen herunterprasseln, Regenschirmspitzen zielen nach deinen Augen, und an jeder Straßenecke sammeln sich solentiefe Regenwasserlachen.
An geschützten Plätzen ist es ziemlich voll. Speziell die Neuköllner Arkaden fließen über. Hier kannst Du die Welt essen, so ist ein türkischer Imbiß nur durch eineinhalb Meter von seiner asiatischen Kollegin getrennt. Eine Frau ißt Falafel, ein Träger auf der einen, zwei Träger auf der anderen Schulter. Ein Mysterium. Und doch ist immer noch Platz für traditionelle Snacks. Die Menge an Ketchup auf der Currywurst ist unrealistisch, aber zurecht, da die Dinger weniger Geschmack haben als Fabrikbrot. Auch eine Canyonerfahrung. Die Fahrtreppe trägt mich hoch hinaus in das Stahlzelt, und der Blick nach unten lässt mich erschaudern.
Zurück in der Straße, kommen mir alle hastig und irritiert vor. Als ich den Zebrastreifen überquere, lässt ein Wagen den Motor röhrend hochdrehen, das Heck steil gegen die Bremse schiebend. Ich werfe einen vernichtenden Blick durch die Windschutzscheibe und schon ist meine Ampel rot. Sprintend rette ich in letzter Sekunde meine nasse Haut. Jetzt ab nach Haus und abgetrocknet.
Jan Ploeg, Berlin, 13. Februar 2005
Übersetzung und Beratung: Verena Schwalm
print versie