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24. Januar 2006
Es ist schon Jahre her, ich war noch verheiratet und ein engagierter Vater, da fuhren wir eine Nebenstraße in Frankreich entlang. Ich erinnere mich, wie ich, als wir an einem abseits stehenden Haus vorbei kamen, sagte: `Stellt euch nur vor, hier zu leben, was für eine Einsamkeit`, woraufhin meine Tochter Anne Linde meinte: `Aber leben wir nicht auch im Busch, Dad?`
Es war mir gar nicht so bewusst, aber in der Tat, die Nachbarn des Farmhauses in Lageland lebten weit außerhalb der Lauschdistanz, und wir sahen sie im Höchstfall einmal pro Woche. `Ja aber dort leben wir halt,` versuchte ich mich wissenschaftlich, `es ist eben gerade diese multifunktionale Qualität unserer Wahrnehmung, die die Dimension des Lebens definiert.` Aber Recht hatte sie.
Jetzt lebe ich schon fast ein Jahr in Fanore. Verglichen mit dem Farmhaus ist das eine ziemliche Verbesserung. Es gibt einen shop voll mit warmherzigen Menschen, nur einen Sprung entfernt, und, obwohl ich dort eher selten zu finden bin, gibt es selbst ein Pub, und es wohnen mehr nette Leute ums Eck, als ich innerhalb einer Woche auf eine Tasse Kaffee zu besuchen in der Lage wäre.
Trotzdem fährt man innerhalb einer Minute durch das Zentrum und durch das ganze Dorf in weniger als fünf.
Als ich vor einigen Tagen in Hoek van Holland an Land rollte, meinte der Beamte, der meinen Pass kontrollierte, `Alles klar, aber denken Sie bitte daran, daß ihr Fahrzeug am Ende des Monats zum TÜV muß!` Ich fand das sehr aufmerksam, aber es schlug mir wie mit der Faust ins Gesicht: `Genau deswegen bin ich hier.`
Zweimal 1200 km Strecke, bei weitem über 500 Euro für die Fähre, vier volle Tage und zwei Nächte Fahrerei und alles nur für einen simplen Technikcheck am Wagen; so viel zum europäischen Traum.
Jetzt laufe ich mal wieder durch Groningen, um meinen Erinnerungen zu frönen. Es ist wirklich unglaublich, nur ein halbes Wort eines Vorbeilaufenden reicht aus. Der Akzent, die soziale Schicht, die Betonung, der Gegenstand und die Bedeutung der Unterhaltung, alles eröffnet sich innerhalb eines Sekundenbruchteils. Jetzt gerade fühle ich mich wirklich zu Hause, hier wo ich den größten Teil meines Lebens verbracht habe, hier bin ich Spezialist, der Experte, hier kann ich weit über die Grenzen meines Verständnisses hinaus gehen.
Wenige Stunden später ist alles wieder beim Alten. Was geht es mich an, dass die Garagentür zuschlägt, dass sie vergessen hat, ihre Pille zu nehmen oder dass eine Zeitung an die falsche Adresse geliefert worden war.
Nach einigen Tagen habe ich meine Besorgungen gemacht, Leute zu besuchen hätte nicht viel Sinn, ich werde in Kuerze sowieso fort sein, wer würde da wohl Aufmerksamkeit in mich investieren? Meine Mutter, o.k., und mit ihr trinke ich Kaffee bis tief in den Nachmittag. Ich bin mehr oder weniger alles durch, habe alles getan, manches sogar zweimal, jetzt ist Zeit für ein Bisschen mehr action.
Ich merke, wie weit ich eigentlich dieses Gefühl hinter mir gelassen hatte. In Fanore bin ich andauernd beschäftigt, immer viel zu tun. Da ist plötzlich dieses poplige Dorf größer als eine ganze Stadt. Aber über Fanore habe ich, glaube ich, genug tiriliert. Schon übermorgen fahre ich nach Berlin. Zu Hause ist eben, wo das Herz sich wohl fühlt.
Jan Ploeg, Altenwohnheim De Wiekslag, Norg, 24. Januar 2006
Übersetzung und Beratung: Verena Schwalm
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